ESBZ on Air – ein Podcast für die digitale Schulgemeinschaft
Kontext
Anders als man vielleicht vermuten mag, steht das ESBZ im Titel des Podcasts „ESBZ on Air“ nicht für Evangelische Schule Berlin Zentrum sondern für Extrem Spontane, Bahnbrechende, Zweitbeste Lösung. So steht es zumindest in der Beschreibung bei Spotify. Ein Podcast also, als zweitbeste Lösung für die Schüler*innen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, die wie so viele Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland aufgrund der Covid-19-Pandemie zu Hause lernen müssen.
Die beiden Macher hinter „ESBZ on Air“ sind Florian Sievert und Samuel Breuer, beide unterrichten an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum. Florian seit vier Jahren als Lehrer für Kunst und Religion, Samuel seit knapp neun Monaten als Lehrer für Geografie und Englisch. „Von Haus aus“, sagen die beiden immer dann, wenn sie über ihre Fächer sprechen. Weil das Lehrer*insein für sie mehr beinhaltet als einfach nur Unterricht. Manchmal bedeutet es auch, einen Podcast zu starten, um Schüler*innen Halt und Vertrautheit in ungewissen Zeiten zu bieten.
Idee
Die Idee für die zweitbeste Lösung in Zeiten von geschlossenen Schulen und isolierten Schüler*innen, das gibt Florian gleich zu, entstand aus einer „Bierlaune“ heraus. Und schiebt nach: „Gepaart mit dem Willen, einen Podcast zu machen.“ Die beiden Lehrer überlegten gemeinsam, wie sie die Zeit sinnvoll nutzen könnten, die sie durch den reduzierten Unterricht in der Coronakrise gewinnen würden. „Wir brauchten etwas, das die Laune hoch hält“, sagt Florian. „Etwas, das den Schüler*innen das Gefühl gibt: Da sind noch andere, in anderen Räumen in der Stadt, die ich kenne und denen es so geht wie mir.“
Ein Podcast sollte es also sein, zu gleichen Teilen morgendliche Inforunde und digitales schwarzes Brett wie Schulhofersatz. Und so konzipierten Florian und Samuel „ESBZ on Air“ in den stressigen Tagen vor den Schulschließungen in Berlin. Ihnen ist klar: So wie sie sich das Format vorstellen, muss es gleich am ersten Tag des neuen Unterrichts starten – oder gar nicht. Die erste Folge nehmen die beiden bis spät in die Nacht vor dem ersten digitalen Schultag auf.
Umsetzung
Von da an sendet „ESBZ on Air“ jeden Morgen eine neue Folge, die Florian und Samuel am Tag zuvor aufgezeichnet haben. Die Folgen selbst sind zwischen fünf bis sieben Minuten lang, die beiden Lehrer sind zwar die Hosts des Podcasts, doch für die Inhalte bekommen sie Unterstützung von außen. Jede Folge besteht aus zwei bis drei Beiträgen – eingesendet von Schüler*innen und Kolleg*innen. In kurzen Snippets werden mal die Freund*innen gegrüßt, mal Netflix-Tipps weitergegeben, mal Tai-Chi-Übungen erklärt.
„ESBZ on Air“ klingt sehr professionell – und hat sogar eine eigene Erkennungsmelodie. Das liegt daran, dass Samuel hauptberuflich Musikproduzent und Songwriter ist, an der ESZB arbeitet er nur in Teilzeit. Den Podcast haben Florian und er in seinem Heimstudio aufgenommen, zunächst mit einem sehr guten Mikrofon, später mit zwei. „Wir haben es nie geschafft, in der einen Stunde aufzunehmen, die wir uns vorgenommen haben“, sagt Florian. Im Schnitt brauchten die beiden pro Folge drei bis vier Stunden, ihre Texte bereiteten sie mit Hilfe von online geteilten Notizen vor. Viel Zeit kostete vor allem die Bearbeitung des eingesendeten Materials, das Zusammenschneiden der Beiträge. „Da ist Samuel aber auch ein kleiner Perfektionist“, lacht Florian.
Als professioneller Musiker benutzt Samuel auch professionelles Equipment: Den Podcast bearbeitete er mit Logic Pro X, einer Musikproduktionssoftware von Apple. „Man braucht diese Technik aber eigentlich gar nicht“, gibt Samuel zu. „Es geht schon ganz einfach mit einem Smartphone oder Tablet, das hat ein eingebautes Mikro.“ Auch eine kostenlose Software wie Garage Band bringe schon die relevantesten Funktionen für Schnitt und Produktion mit sich.
Atmosphäre
Tonfall und Stimmung von „ESBZ on Air“ sind witzig und locker – und doch dem Ernst der allgemeinen Lage angemessen. Wichtige schulinterne Informationen darüber, in welchen digitalen Räumen welche Klassenstufen an diesem Tag arbeiten, stehen gleichwertig neben Solidaritätsaufrufen und Empfehlungen für die Quarantänezeit – alles in einfacher Sprache gehalten und so formuliert, dass es alle verstehen können.
Die beiden Hosts Florian und Samuel werfen sich ihre Sätze ganz spielerisch zu. Man merkt ihnen den Produktionsstress hinter dem Podcast kein bisschen an. Stattdessen strahlt aus ihren Worten ein starker Sinn für Gemeinschaft und Zusammenhalt. „Der grundlegende Gedanke war, einen digitalen Schulhof zu schaffen“, sagt Samuel, „einen neuen Raum für all das, was sonst draußen passiert: Man sagt sich hi, tauscht Netflix-Tipps aus, interagiert.“
»Wir wollen etwas schaffen, wo Menschen sich begegnen können.« —Samuel
Ergebnisse
„ESBZ on Air“ ist ein Podcast für die Community – von der Community. „Wir hätten das nicht durchgehalten, wenn wir nicht die Rückendeckung von den anderen bekommen hätten“, sagt Florian. Die erste Folge haben Samuel und er noch ganz alleine gestaltet, via Podcast riefen sie Schüler*innen und Kolleg*innen dazu auf, ihnen eigene Beiträge zu schicken. Die einzigen Vorgaben: nicht länger als eine Minute und keine „versauten Inhalte“. Sofort trudeln die Einreichungen ein, die Schulleiterin hält eine kleine Ansprache, Schüler*innen grüßen ihre Freund*innen und erzählen aus ihrem Alltag in der Isolation.
„Wir haben voll ins Schwarze getroffen“, sagt Florian. Das Feedback auf die ersten Folgen von „ESBZ on Air“ ist überwältigend. Eltern von Schüler*innen schreiben Florian und Samuel, aber der Podcast strahlt sogar weit über die ESBZ hinaus. Eine ehemalige Lehrerin der Schule meldet sich, die heute in Kalifornien lebt und dort auch gerade einen Podcast gestartet hat. Auf Spotify hören jeden Morgen Leute zu, die gar nichts mit der Schule zu tun haben.
Fazit
»Mein größte Motivation war, dass ich die Gesichter kenne, für die ich das mache. Das ist eine total privilegierte Position. So eine spezifische Zielgruppe hat ja kaum ein Podcast.« —Samuel
Es sei cool und hilfreich, dass sein Kollege Samuel so eine professionelle Ausrüstung zu Hause habe, sagt Florian. Aber notwendig für einen Schulpodcast sei das nicht. Florian plädiert dafür, Projekte wie „ESBZ on Air“ niedrigschwellig zu halten. Bei Anchor, einer Host-Plattform für Podcasts, könne man zum Beispiel alles direkt am Smartphone erledigen: vom Schnitt über die Hintergrundmusik bis zum Cover und der Verteilung auf die verschiedenen Kanäle wie iTunes und Spotify. „Das funktioniert gerade bei so einem kurzen Format wie einem morgendlichen Schulpodcast richtig gut.“
13 Folgen haben Florian und Samuel bis zu den Osterferien produziert. Nur zwei Mal sind sie dabei über kleinere technische Probleme gestolpert. Einmal, weil Samuel die falsche Uhrzeit zur Veröffentlichung des Podcasts eingestellt hatte. Und ein weiteres Mal, weil sie aus Versehen eine Folge veröffentlichten, in der nur die Musik zu hören war – und nicht ihre Stimmen. Konzentrationsfehler. „Gerade zum Ende hin habe ich gemerkt, dass mich das ganz schön geschlaucht hat“, sagt Samuel. Und Florian ergänzt: „Du musst halt liefern. Wenn man das angefangen hat, muss man das auch durchziehen. Die Leute rechnen mit dir, das setzt einen auch unter Druck.“
Erfahrungen
Langsam aber sicher öffnen die ersten Schulen wieder, auch in Berlin hat der physische Unterricht für bestimmte Stufen schon wieder begonnen. Für Florian und Samuel stellt sich die Frage, wie man ein Format wie „ESBZ on Air“ über die Zeit der Schulschließungen hinaus weiterlaufen lassen kann: Wie lässt sich ein Podcast in die Schulgemeinschaft integrieren? Eine Idee: die Verantwortung aus der Hand geben – und das Projekt von Schüler*innen weiterführen lassen. Denn mit dem physischen Unterricht steigt auch auch die Zeit- und Arbeitsbelastung von Florian und Samuel: „Wir fragen uns jetzt, wie wir die Community noch mehr ins Boot holen können.“
Auch wenn die Zukunft von „ESBZ on Air“ noch unklar ist, die Arbeit an einem Podcast-Projekt kann Florian allen Lehrer*innen nur empfehlen. Auch denjenigen, die bislang keine Ambitionen für das Rampenlicht hatten. „Man muss nicht als Entertainer auftreten“, sagt Florian. Nicht alles müsse perfekt sein, auf den Punkt, didaktisch richtig. Solche Gedanken müsse man einfach zur Seite schieben. „Es ist so wie es ist. Punkt.“
Zum Schluss fragen wir Florian und Samuel noch: